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Von einem, der auszog, die Besten zu finden

WILLI – Das Stadtmagazin (Musik) 8/2000:

Von einem, der auszog, die Besten zu finden

oder von 35 Akkordeonisten, die auszogen, um Deutscher Meister zu werden

1974 entschloss sich sich Wolfgang Pfeffer zur Gründung des Jugend-Akkordeon-Orchesters in Untergrombach. Er hatte recht ungewöhnliche Ziele. Denn nicht etwa Unterhaltungsmusik a la Hans-Albers war seine Vision, sondern die Interpretation zeitgenössischer Musik. Etwa zwei Dutzend – unübersehbar flower-power-gefärbter – Jünger schlossen sich ihm an. Eine wunderbare Zeit begann. Nebst intensiver Probenarbeit trafen sich die Individualisten auch in ihrer Freizeit. Damals war Center, viele Partys (innerorchestrale Paarungen eingeschlossen), kollektives Fingernägelkauen (schließlich stören die Teile beim Spielen), Urlaube in Jugoslawien, 2 CV fahren angesagt und Protest gegen alles, was spießig war.

Dennoch wurden in der konservativen Akkordeonwelt von Anfang an große Erfolge erzielt. Namhafte Komponisten „buchten“ die HCUler zur Interpretation neuer Werke. Nach der Haupt- erklomm man bald die Oberstufe und der „Haufen von musikalischen Legasthenikern“, wie sie von ihrem Dirigenten liebevoll genannt werden, war immer auf den vorderen Plätzen. In den 80ern stellte sich eine gesunde Fluktuation ein. Hinter den stets hochwertigen Instrumenten tauchten immer neue Gesichter auf. Doch ein unverzichtbarer „harter Kern“ blieb. Auf die gewachsene Einheit zwischen den „Alten“ und ihrem Dirigenten „Oli P.“ konnte man bauen. Von Anfang an sind die 30- bis 49jährigen Senioren“ für die Kontinuität und die Grünschnäbel für den frischen Wind zuständig.

Seit 1986 wird in der ersten Liga, der Kunststufe, gespielt. Während die Darbietungen für Fachleute ein Hochgenuss sind, kann es bei Laien schon mal zu recht ungewöhnlichen Reaktionen kommen. Tom I. aus B. zum Beispiel, für etwa 40 Tage im Jahr ein begeisterter Anhänger der Askese und Saunauntensitzer, brach nach dem Besuch eines Konzertes im Bürgerzentrum spontan sein bis dato eisernes Fasten. Doch derartige Empfindungen sind nicht das Maß aller Dinge und darum bleibt man sich und seiner Musik treu.

Uns so zogen sie einmal mehr aus – in diesem Fall ins ferne Karlsruhe -, um den Meistertitel auf Bundesebene mit unübertroffener Punktzahl zu bestätigen, den sie sich bereits vor vier Jahren bei der letzten Deutschen Meisterschaft im Thüringischen Gera erspielten. Höchstpunktzahl bedeutet in diesem Falle nicht nur das beste Ergebnis in ihrer Sparte, sondern die höchste Bewertung des Gesamtwettbewerbs mit weit über hundert Blas-, Zupf-, Kammer-, Sinfonie- und eben Akkordeonorchestern. Nicht nur beim Wertungsspiel musizierte man auf höchstem Niveau. Auch beim Preisträgerkonzert im Brahmssaal zelebrierte das Akkordeonorchester vor etwa dreieinhalbtausend Zuhörern noch einmal das am Vortag bewertete Pflicht- und Kürprogramm – als Krönung der musikalischen Veranstaltung sozusagen.

Seit 1996 kann man den Dirigenten Wolfgang Pfeffer übrigens als Maestro titulieren. Für die Jahre 1992 bis 1996 erhielt der hauptberufliche Musiklehrer in der Bruchsaler Musik- und Kunstschule nämlich vom Deutschen Musikrat ein Stipendium bei Sergiu Celibidache, einem der größten Dirigenten unseres Jahrhunderts. Außerdem war er in den Jahren 1969 bis 1971 Stipendiat bei Leonard Bernstein während der sogenannten Sommercamps in Tenglewood/Lenox, USA.

Das Akkordeon ist ein Instrument, das noch bis vor wenigen Jahren schlimmstenfalls Assoziationen an brav begleitete, bierselige Seemanns-, Volks- und Wanderlieder weckte. Viele Musiker – so auch dieser begabte Haufen – haben hart daran gearbeitet, all diese Klischees unwiederbringlich in die Verbannung zu schicken und dem meist stiefmütterlich behandelten Instrument auf die Sprünge zu helfen. HULDIGUNG! (Christine Mayer)